«Bildung = Erfolg!»?

Das Fragezeichen hinter der Gleichung «Bildung = Erfolg!» steht für eine kleine Trendwende. Denn Bildung bleibt – in globaler wie individueller Hinsicht – der Megatrend. Das Fragezeichen steht im Gegenzug für sechs verschiedene Aspekte:

  • Die Ungleichheit nimmt trotz wachsender Ausbildung zu: Global betrachtet nahm die Ungleichheit unter den Nationen zwar ab, da die grossen Schwellenländer in Osteuropa, Südamerika, Asien und Südafrika in einen historischen Aufholprozess eingetreten sind. Gleichzeitig nahm die Ungleichheit innerhalb der entwickelten Länder deutlich zu (vgl. Bourguignon, 2013). Das trifft auch – wenn auch in geringerem Masse - für die Schweiz zu (vgl. Föllmi/Martines, 2017) und dies parallel zu den grossen Bemühungen insbesondere des Bundes, die Ausbildungsquote der Schulabgängerinnen und -abgänger auf gegen 100 Prozent zu erhöhen. Für die vergangenen Dekaden heisst das Fazit daher: Mehr Ungleichheit trotz mehr Bildung.
  • Es bildet sich ein «Dienstleistungsproletariat» heraus: Den Druck, den die oben beschriebenen Entwicklungen erzeugen, spüren Beschäftigte mit Niedriglöhnen, insbesondere im Dienstleistungssektor (Pflege, Betreuung, Verkauf etc.). Trotz Berufsausbildung reicht der Lohn knapp zur Existenzsicherung. Zudem ist die Konkurrenz gross – insbesondere im Kontext einer liberalisierten Arbeitsmarktmigration (vgl. Bude, 2014/2013).
  • Es findet ein massiver «Preisabschlag» auf höherem Bildungsniveau statt: Angebot und Nachfrage steuern die Preise. Die Zunahme an Akademikerinnen und Akademikern auf dem Arbeitsmarkt hat zu real tieferen Löhnen geführt. Zwar gilt das Versprechen der «individuellen Bildungsrendite» nach wie vor, doch höhere Bildung kann lediglich vor sozialem Abstieg bewahren, ist aber kein Garant mehr für den Aufstieg.
  • Nicht Bildung, sondern das Bildungssystem verteilt den Erfolg: Allerdings belohnt das Bildungssystem vor allem die soziale Herkunft. Sozioökonomisch bedingte Differenzen bei Schuleintritt werden – wie die Zürcher Längsschnittstudie von Urs Moser u. a. gezeigt hat – im Verlauf der nächsten neun Jahre noch vertieft (vgl. Angelone, Keller & Moser, 2013). Kurz: Das Bildungssystem verstärkt soziale Ungleichheit. Die Zürcher Längsschnittstudie hat die hohe Bedeutung der sozialen Herkunft beziehungsweise der Familien für den Bildungserfolg bestätigt (als primärer und als sekundärer Herkunftsfaktor). Dies anzuerkennen, heisst vor allem, nach den Rahmenbedingungen zu fragen, die Familien in ihren Aufgaben zum Wohl der Kinder gerecht zu werden vermögen.
  • Ausbildung frisst Bildung: «Employability» dominiert die Bildungspolitik in einer Weise, dass kritische Stimmen die eigentliche Bildung jenseits ökonomischer Interessen wie die Entwicklung der Persönlichkeit, der sozialen Kompetenzen etc. für gefährdet halten (vgl. Im Markt der öffentlichen Kassen).
  • Chancengleichheit heisst Wettbewerb: Schülerinnen und Schüler lernen bereits in der Grundschule abzuschätzen, wann es sich lohnt, sich dem Wettbewerb zu stellen. Es lässt sich durchaus als eine Strategie der Selbstbehauptung verstehen, wenn Jugendliche zum Schluss kommen, es lohne sich für sie nicht. So entsteht frühe und persistente Leistungsverweigerung.

Die oben beschriebene Zuspitzung auf Ausbildung erfährt derzeit allerdings eine Korrektur. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können auch ohne Ausbildung erfolgreich sein. So zeichnet sich bei den grossen Technologiekonzernen (Amazon, Google, Facebook u. a.) ein Mini-Gegentrend ab, wonach der Anteil an Akademikerinnen und Akademiker am gesamten Personalbestand in den vergangenen Jahren sukzessive abnahm. Dort wird vermehrt und offenbar erfolgreich auf Talente gesetzt statt auf Diplome (vgl. «Being digital!»).

«Es war eine falsche Vorstellung die wir hatten, als wir geglaubt haben, wir könnten andere Menschen unterrichten.»

Gerald Hüther, Neurobiologe

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